Bonding beschreibt die prägende Phase der beginnenden emotionalen Beziehung zwischen einem Neugeborenen und seinen Eltern. Diese Bindung baut sich bereits in der Schwangerschaft auf und setzt sich direkt nach der Geburt und den folgenden Lebensmonaten fort. Diese Bindung zwischen Eltern und Baby kann weitreichende Auswirkungen auf die weitere Entwicklung des Kindes haben. Reagieren Eltern mit Zuwendung, Fürsorge und Liebe auf die Bedürfnisse ihres Babys, bekommt es Vertrauen und lernt, dass es nichts zu befürchten hat.
Wir haben mit Sue Barratt von Geburtshaus ZHO gesprochen. Sie ist Hebamme und Mitglied der Geschäftsleitung und weiss, wie wichtig Bonding für eine starke Eltern-Kind-Beziehung ist. Das Geburtshaus ZHO begleitet jährlich Hunderte Mamis und Papis bei der Geburt, in den ersten Stunden des Elternseins und in der Wochenbett-/Stillzeit. Im Interview spricht sie über ihre Erfahrungen und Empfehlungen.
Was versteht ihr unter Bonding?
Ganz klar ein von Liebe, Interesse und Fürsorge geprägter Prozess, der zwischenmenschliche Verbindung und Bindung entstehen lässt.
Welche Beobachtungen habt ihr gemacht, was Bonding angeht?
Dass eine Mutter ihr Kind nach der Geburt zu sich nimmt, es berührt und anschaut, entsteht ganz natürlich. Es sind tiefe Momente der ersten Begegnung zwischen Eltern und Kind, eine emotionale und sehr bewegende Zeit des Entdeckens.
Warum ist Bonding so wichtig für die Beziehung zwischen Eltern und Baby? Was passiert da genau?
Durch Bonding entsteht zwischenmenschlicher Kontakt und eine Liebesbeziehung zwischen Kind und Eltern. Es ist eine Erfahrung von Vertrauen, Nähe, Schutz und Sicherheit. Kann dies positiv erfahren werden, wirkt sich das stärkend aus auf weitere zwischenmenschliche Beziehungen, die das Kind später eingehen wird. Und was ist das A und O des Bondings? Es ist wichtig, auf ungestörte Haut-Kontakte zu achten, die authentisch und von beiden Seiten gewünscht sind. Schon ein Baby signalisiert, wann es welche Bedürfnisse hat und kann seine Grenzen ausdrücken.
Wie profitieren Baby und Eltern vom Bonding?
Das Baby ist evolutionär gesehen eine Frühgeburt. Es ist für Nahrung, Kleidung, Pflege, Berührung, Fortbewegung und Regulation auf die Eltern bzw. enge Bezugspersonen angewiesen. Eine Liebesbeziehung stellt sicher, dass das Baby gut versorgt ist, denn die Eltern lernen ihr Kind nach und nach kennen und reagieren auf seine individuellen Signale. Das erfüllt ein tiefes Bedürfnis des Eltern-Seins und stärkt das Selbstvertrauen der Eltern. Als Kind lernen wir so Urvertrauen: Die Welt ist ein sicherer Ort, wir sind liebenswert und durch andere Menschen erfahren wir Unterstützung. Auf diese Erfahrungen und das Wissen kann später zurückgegriffen werden, z.B. bei Stress und Belastungen. Eltern geben ihrem Kind somit eine Grundlage für weitere Entwicklung, Bewältigungsstrategien und Wachstum.
Wie unterstützt ihr die Eltern seitens des Geburtshauses Zürcher Oberland, was eine starke Eltern-Kind-Beziehung angeht?
In der Schwangerschaft stärken wir die Frau, das Kind zu spüren und mit ihm in Kontakt zu gehen: Durch äussere Berührung des Bauches, das bewusste Erleben von Kindsbewegungen wie auch durch innere Dialoge mit dem Baby. Man sagt, die ersten Blicke des Neugeborenen prägen sich tief in die Seele der Eltern ein. Bei der Geburt und danach ist unser Anliegen, der Zusammengehörigkeit, dem direkten Hautkontakt und Kuscheln viel Zeit zu geben und die Eltern können bei uns mehrere Stunden im Gebärzimmer bleiben. Wir stellen im Wochenbett ein Bondingtop zur Verfügung, dass ganz unkompliziert diese Nähe und Wärme ermöglicht. Beide Elternteile sind bei uns immer angesprochen und eingebunden. Wir instruieren Massagen, Pflege, Tragevarianten im Tuch und vieles mehr. Im Wochenbett findet auch ein Babybonding-Bad statt, was sehr geschätzt wird. Möchten Eltern beispielsweise Nachhaltigkeitsgründen ganz oder teilweise auf Windeln verzichten, zeigen wir gerne das Abhalten. Um das Ausscheidungsbedürfnis unmittelbar zu erkennen und zu spüren, ist Tragen wichtig für die Bezugspersonen.
Im Geburtshaus Zürcher Oberland setzt ihr auch stark auf Praktiken, die seit Jahrhunderten funktionieren und andernorts durch den medizinischen Fortschritt in Vergessenheit geraten sind. Welche sind das?
Die wichtige Bondingzeit direkt nach der Geburt unterstützt das hormonelle Zusammenspiel bei der natürlichen Geburt der Plazenta. In dieser Zeit pulsiert auch die Nabelschnur aus und das Baby profitiert vom Blutvolumen, das zu ihm fliesst. Möchte eine Frau stillen, unterstützen wir sie mit viel Erfahrung, Wissen und Zeit. Bonding ist ein natürlicher Vorgang, der im Geburtshaus Zürcher Oberland bewusst gefördert wird und Eltern hilft, die Bedürfnisse ihres Kindes zu erkennen wie zum Beispiel Hunger, Nähe und Ausscheidung. Wir kennen und instruieren altbewährte Heilmethoden wie Wickel, Fussbäder, Akupunktur, Massagen und Aromatherapie.
Unterscheidet sich das Bonding in Abhängigkeit zum Verlauf der Geburt?
Die interventionsarme Geburt ist eine gute Voraussetzung, dass das Kind und die Mutter nach der Geburt Kapazität haben, sich intensiv kennenzulernen. Dies erleben wir im Geburtshaus tagtäglich. Sollte ein Bonding nach der Geburt aus verschiedenen Gründen nicht unmittelbar möglich sein, dürfen die Eltern darauf vertrauen, dass es immer die Möglichkeit gibt, diese prägende Zeit nachzuholen. Gerne besprechen und begleiten wir die Eltern-Bedürfnisse dazu.
Wie lange dauert Bonding?
Bonding kann schon in der Kinderwunschzeit beginnen, viele Frauen träumen von ihrer Schwangerschaft und dem Kind. Es setzt sich fort in der Schwangerschaft, beim gemeinsam bewältigten Geburtsweg, beim Stillen und das gemeinsame Leben als Familie ist natürlich bindungsstärkend. Es geht also nicht immer nur um Momente nach der Geburt.
Woran erkennen Eltern, dass das Bonding geglückt ist?
Wir sehen, dass sich Eltern informieren und engagieren, um eine starke und gelingende Verbindung zum Kind aufzubauen und zu pflegen. Eine Beziehung ist immer ein Prozess, der andauert, sich wandelt und verändern kann. Erfolgsdruck aufzubauen, und von einem «geglückten» Bonding zu sprechen, scheint uns in diesem Zusammenhang wenig hilfreich. Dass unsere Kinder uns so sehr brauchen, ist schön und herausfordernd zugleich. Wir möchten unbedingt darauf hinweisen, dass sich Eltern ihrer Gesundheit und Ressourcen gut bewusst sein dürfen – und die Unterstützung «eines Dorfes», von Beratungsstellen und Fachpersonen in Anspruch nehmen sollen. Dann ist es ein grosses Glück, dass sich das Kind in deinen Armen beruhigt und entspannt, deine Nähe zur Regulation sucht, neben dir schläft und sich mit seinen Bedürfnissen vertrauensvoll an dich wendet.
Wir danken Sue Barratt für das spannende Interview, das eindrucksvoll gezeigt hat, wie essenziell die Beziehung zwischen Eltern und ihrem Baby ist.
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